Kurzbeschreibung der Erzählung:
Hans ist ein junger Musikant aus Telfs und erlebt den Wechsel der politischen Systeme von 1938 bis 1952 aus einer besonderen Sicht. Anhand der Erzählung, die auf Fakten beruht , lässt sich diese unruhige Zeit in einer Landblaskapelle nach verfolgen.
Diese Novelle wirft einen zeitgemäßen Blick auf die Geschichte, negative Anteile der Historie werden miteinbezogen, auch wenn die Erinnerung daran schmerzt.
Schlussendlich spielt Hans als treuer Musikant 45 Jahre in der Musikkapelle Hatting und bewirtschaftet den Wennserhof. War er damals der erste seiner Sippe, so ist heute sein Familienname in Hatting weit verbreitet.

Die Aushilfe

Erzählung nach einer wahren Begebenheit

Die Ober- und Untermarktstraße in Telfs waren prächtig geschmückt. So hatte Hansl die Straßen in Telfs noch nie gesehen. Und es machte ihm schon ein wenig zu denken, wie schnell das alles gekommen war. Erst Mitte März waren die Deutschen bei uns einmarschiert und hatten alles unter ihre Kontrolle gebracht und jetzt gab es eine sogenannte „Volksabstimmung“ über den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich[1]. Der Hansl wusste nicht recht, was er davon halten sollte, schließlich wurden alle Instrumente und die schöne Montur von der NSDAP beschlagnahmt[2] und er und seine Freunde von der Jungbauernmusikkapelle Telfs[3] konnten dem geliebten Musizieren nicht mehr nachkommen. Und jetzt sollte er da ins Rathaus gehen und sein Kreuz für den „Führer“ machen. Angesichts der Übermacht der Anhänger Hitlers und der allmächtigen, immer gegenwärtigen Propaganda der Nationalsozialisten machte er dann sein Kreuz für den Führer, so wie 99 Prozent[4] der Telfer.

Hansl war ein begnadeter Musikant, im Handumdrehen hatte er das Flügelhornspielen bei seinem Nachbarn[5] Alois im Telfer Untermarkt gelernt und er wollte endlich wieder musizieren. Von den drei Musikkapellen in Telfs war nur mehr der traditionsreiche Musikverein übriggeblieben[6], doch irgendwie konnte Hansl nicht mehr mit denen musizieren, da muss schon eine gute Harmonie herrschen, sonst kann man nicht zusammenspielen, meinte er. So kam dem Hansl die Einladung grad recht, im Winter in Hatting mit dem Flügelhorn auszuhelfen. Der Alois Lindacher hatte ihn gefragt, ob er nicht in Hatting zur Probe kommen will, dort sei gerade ein Flügelhornist ausgefallen. Alois war gleich einmal nach der Auflösung der Jungbauernkapelle Telfs von den Hattingern zum Kapellmeister bestellt worden, da der bisherige Dirigent Paul Schatz in diesen turbulenten Zeiten nicht mehr weitermachen wollte.

Alois hatte ihm nicht zu viel versprochen, die Hattinger waren wirklich gute Musikanten und die Proben waren gesellig, er bekam ein gutes Flügelhorn und auch gleich die „geale Montur“. Die Hattinger nannten sie so, weil die Uniform nun schon 15 Jahre im Einsatz war und der Stoff vom Sonnenlicht vom Braunen ins Gelbe geschossen war. Die Hattinger Musikanten waren damals fast alles Bauern, weshalb der Gesprächsstoff beim geselligen Beisammensein derselbe war, wie in Telfs bei der Jungbauernkapelle. Hansl war selbst kein Bauer, sein Bruder hatte die Landwirtschaft in Telfs übernommen, doch wusste er über alle Belange und Arbeiten in einer Landwirtschaft Bescheid und konnte bei den Fachgesprächen der Hattinger Bauern mitreden. Dem Hansl gefiel das alles, er brauchte sich nicht einmal um die Zugfahrt von Telfs nach Hatting kümmern, denn er konnte ganz einfach mit seinem Freund und Mentor Alois Lindacher mit dem Motorrad mitfahren.

So kam das Frühjahr 39 ins Land und der Hansl spielte immer noch bei den Hattingern mit. Auch hier wurde über die neuen Machthaber diskutiert. Nicht selten stritten die Musikanten untereinander und ein paar verließen die Kapelle. Schließlich einigte man sich im Sinne des Fortbestandes der Musikkapelle darauf, sich mit dem Gaukulturamt zu arrangieren. Es war schon unmöglich, was die einem alles vorschreiben wollten, aber das Deutschlandlied im Marschtempo zu interpretieren und den Badenweilermarsch einwandfrei zu spielen,[7] war für die eifrigen Musikanten mehr eine musikalische Herausforderung als ein ideologisches Bekenntnis. Solange keine fanatischen Sprüche in der Musikantenrunde geführt wurden und das Arrangement mit den neuen Machthabern nur dem Fortbestand der Musikkapelle diente, war das dem Hansl egal, welches Programm gespielt wurde und für wen man ausrückte. In erster Linie wollte man musizieren und so bot sich der neu ernannten „Standschützenkapelle Hatting“ am 04. Juni 1939 die Gelegenheit, sich beim Kreisgaufest in Innsbruck[8] zu präsentieren. Welch große Anerkennung für die „kleinen Bauernmusikanten“ aus Hatting, durch ein Spalier von Menschenmassen zu marschieren und dabei den großen „Wiltenern“ nachzueifern. Freilich war das eine Propagandaveranstaltung der Nationalsozialisten und der Hansl und seine Musikkameraden waren sich vielleicht bewusst oder auch nicht, dass sie mit der Teilnahme an diesem Aufmarsch der Verherrlichung eines Regimes dienten, das sich gerade in einem Machttaumel und einem unaufhaltbaren Expansionskurs befand.

Die Musikanten fühlten sich noch mehr geschmeichelt, als durch die Intervention des NS Kreisleiters Max Primps es den Hattingern ermöglicht wurde, endlich eine neue Nationaltracht anzuschaffen. Schließlich war es beschämend, mit den ausgeblichenen Uniformen derartige Ausrückungen durchzuführen, dachte man sich. Im Sommer 39 fand in Hatting ein großes Fest zur Einweihung der neuen Nationaltracht statt. Die Mander standen da in ihrer „schneidigen Tracht[9]“ und wurden von der Dorfbevölkerung bewundert. Auch Anna, ein Mädchen aus dem Dorf, nahm daran teil. Noch nie war sie so im Mittelpunkt gestanden, sie wurde nämlich auserkoren, die heilige Cäcilia darzustellen. Dazu war sie in ein engelhaftes Kostüm gekleidet und stand ganz oben auf einem Festwagen und hielt eine Harfe in der Hand. Hunderte bewundernde Blicke trafen auf sie, auch die vom Hansl. Bei den Proben in Hatting hatte er bisweilen nur mit seinen Musikkameraden zu tun und im Gasthaus saßen auch immer dieselben Mander und so kam er an diesem warmen schönen Sommersonntag erstmals mit der Hattinger Bevölkerung zusammen. Welch ein schöner Tag für Hansl, er in seiner neuen Tracht, fesch und begehrt von den jungen Mädchen im Ort. Auf dem Fest wurde fleißig getanzt; er hatte sich 10 Tanzmarken gekauft und war nach ein, zwei Bier auch mutig geworden, sodass er sich endlich traute, die „heilige Cäcilia“ zum Tanz aufzufordern. Anna war hingerissen vom Telfer Burschen, der so schön das Flügelhorn spielen konnte und lehnte sich bei den Polkas und Ländlern ganz fest in seinen Arm. Den Dorfleuten blieb es nicht vorenthalten, was sich da am Tanzboden anbahnte, dementsprechend war das Getuschel, speziell bei den alten Weibern hinten auf der schattigen Bank, groß. Alle 10 Marken hat der Hansl mit Anna getanzt und dann standen sie lange in der Weinlaube, bis es Abend wurde und eine laue Sommernacht hereinbrach.

Ab diesem Sommer hatte Hansl einen weiteren Grund zur Musikprobe nach Hatting zu kommen. So wurde es Herbst und die traditionelle Cäciliafeier am letzten Sonntag vor dem Advent stand bevor. Für Hansl hatte diese Feier nun doppelte Bedeutung, denn durch die Erinnerung an den Sommer war Anna seine Heilige geworden. Geprobt wurde von Kapellmeister Alois Lindacher[10] nicht nur Kirchenmusik, denn die Kapelle hatte wieder einen prestigeträchtigen Auftritt im großen Stadtsaal in Innsbruck vor sich. Bei diesem „bunten Abend“ für die 4. Reichsstraßensammlung am 3. Februar 1940[11] traten auch andere Musik- und Folkloregruppen sowie Sänger und Schauspieler des Landestheaters auf. Eine gleichartige Veranstaltung unter der Mitwirkung der Standschützenkapelle Hatting, fand auch nochmal im Juli des Jahres 1940 statt. Zur Zerstreuung der Dorfbewohner von Hatting spielten die Musikanten am 11.08.1940[12] auch ein Platzkonzert im Ort, bei der Schmiede an der Landesstraße[13]. Das Programm war leider etwas einseitig, gern hätten Hansl und seine Musikfreunde einmal etwas von der neuen Tanzmusik aus Amerika gespielt, aber das war ihnen verboten – es mussten genaue Programmlisten geführt werden, auf denen nur deutsche Heldenlieder und Nazimärsche und vielleicht das eine oder andere Volkslied aufscheinen durften.

Was zu diesem Zeitpunkt die Musikanten nur am Rande berührte, jedoch später gravierende Auswirkungen auf den Musikbetrieb haben sollte, war der Umstand, dass sich das Deutsche Reich seit Anfang September 1939 im Krieg befand.  Proben und Ausrücken wurde nun zusehends schwieriger, auch weil ein Musikant nach dem anderen zur Wehrmacht einberufen wurde. Schließlich wurden auf Drängen der Kreisleitung auch noch alle Subventionen dem deutschen Roten Kreuz gespendet. Es erscheine viel wichtiger, mit vereinter Kraft alles daran zu setzen, um unseren Soldaten draußen an der Front bestmöglich zu helfen, hieß es[14].

So wurde für Hansl nun wiederum sein geliebtes Musizieren jäh unterbunden, denn es fanden keine regelmäßigen Proben mehr statt. Und im Herbst 1940 kam dann auch der Einberufungsbefehl und es fiel ihm schwer, es der Anna zu sagen. Ein paar Wochen zuvor waren ihre beiden Brüder eingezogen worden. An jenem Abend musste Hansl die Anna einfühlsam trösten, denn ihre Wehmut war groß, erst ihre Brüder ziehen zu lassen und jetzt auch noch ihren Geliebten.

1942 brachte Anna einen Sohn zur Welt und zur Taufe von Alfred konnte Hansl vom Kriegsschauplatz Holland auf Heimaturlaub kommen. Die Musikkapelle bestand derweil nur mehr sporadisch, viele der ursprünglich 27 Musikanten[15] waren eingerückt und dennoch versuchte Kapellmeister Alois Lindacher Notenmaterial zu beschaffen und so etwas wie einen regelmäßigen Probenbetrieb aufrecht zu halten. Schließlich mussten auch noch Stammblätter, Inventarbuch, Kassabuch und ein Betrag von 50,87 Reichsmark[16] an den Ortsgruppenleiter abgegeben werden. Die Kriegshandlungen verschärften sich und Anna bekam die traurige Nachricht, dass ihre beiden Brüder gefallen sind[17]. Mit einer kümmerlichen Mannschaft wirkte die Musikkapelle am 01. Juni 1943 noch an einer Heldengedenkfeier[18] mit, bis dann in den folgenden Kriegswirren hier im Lande keine Ausrückungen und Proben mehr stattfanden.

Mit großem Bangen wartete Anna in den letzten Kriegstagen auf eine Nachricht von ihrem Hansl. Was sollte sie denn ohne ihn nur machen, einen dreijährigen Sohn, einen großen Hof zu versorgen und außer Altbauer Alois kein Mann in Sichtweite, der den Hof übernehmen könnte. Doch nach dieser schrecklichen Zeit meinte es das Schicksal mit Anna auch einmal gut und der Hansl kehrte heim.

Es war der erste Kirchtag (Ägidi-Tag) in Hatting nach dem Krieg, als die neu ernannte „Tiroler Bauern-Kapelle Hatting“ im Spätsommer 1945 ihr erstes Platzkonzert[19] gab. Der Hansl, aber auch alle anderen übriggebliebenen Musikanten und die ganze Dorfbevölkerung freuten sich riesig, nach so langer Zeit endlich wieder einmal ein kleines Dorffest feiern zu können. Alles war auf den Beinen und auch Anna mit ihrem bald dreijähren Sohn Alfred stand unter den Zuhörern am Dorfplatz und lauschte den Klängen der Tiroler Bauern-Kapelle Hatting. Vielleicht klang es noch nicht so schön wie vor dem Krieg, was aber weniger dem Eifer der Musikanten geschuldet war, als vielmehr dem schlechten Zustand der Instrumente[20]. Bei diesem Platzkonzert spielten die Musikanten nun endlich mal keine verordneten Nazi- Märsche und keine deutschen Heldenlieder mehr, sondern das Programm konnte frei gestaltet werden.

Am Wennserhof arbeitete ab sofort ein neuer Bauer, nach dem Verlust der beiden Hofübernehmer an der Kriegsfront übergab der Altbauer zuversichtlich den Hof an Anna und damit auch dem Hansl, der ja Erfahrung in der Landwirtschaft aus dem Elternhaus in Telfs mitbrachte und sich mittlerweile schon gut ins Dorf integriert hatte. Zu Weihnachten Stand die Hochzeit mit Anna ins Haus und beim Wennser blickte man vertrauensvoll in die Zukunft. Natürlich wurden damals dem Brautpaar auch ein Ständchen von der Musikkapelle dargebracht und der Hansl ließ sich nicht nehmen, selbst beim Erzherzog-Albrecht-Marsch mitzuspielen.

Im Frühling 1946 gings wieder richtig los bei der MK Hatting. Am 22. April 1946 spielten die Musikanten bei einer Südtirol-Kundgebung in Innsbruck[21] und erstmals nach acht Jahren konnte die Feuerwehr Hatting am 05.05.1946 wieder eine Florianifeier abhalten, bei dem die Musikanten den entsprechenden Rahmen gaben.[22]. Auch sonst nahm des Musikjahr wieder den gewohnten Lauf so wie vor 1938. Die Musikanten spielten im Kreis der Jahreszeiten und des Kirchenjahres zu den traditionellen Anlässen wie zum Beispiel: Neujahrspielen, Erstkommunion, Florianifeier, Prozessionen, Namenstags-Ständchen, Musikfesten, Ägidikirchtag, Gefallenengedenken, Cäciliakirchtag und Cäciliakonzert und ganz gern zu verschiedenen Ausflugsfahrten. 

Große Nachwehen hatte der Krieg noch im Hattinger Kirchturm hinterlassen, denn das Geläute beschränkte sich wie bei allen Kirchtürmen im Land nur auf eine kleine Glocke, das Sterbeglöckchen. Im Laufe der Kriegsjahre wurden sämtliche Glocken eingezogen und zu Kanonen oder Panzer verschmolzen. Welch eine frevelhafte Umnutzung des Metalls von der friedlichen Verkündung des christlichen Glaubens und Ankündigung der Tages- und Uhrzeiten zur unheilbringenden vernichtenden Wirkung von Kriegsgerät. Welch grausige Vorstellung, dass ein Teil der alten Hattinger 12er Glocke vielleicht in Russland Menschen erschlagen hat. So hatte das Glockenkomitee von Hatting am 15. August 1948 ein großes Gartenfest[23] zur Finanzierung von neuen Kirchenglocken[24] organisiert.

Auch die Musikkapelle Hatting spielte auf und Hansl ging nach dem Konzert am Festplatz gleich zu Anna, die an einem gemütlichen schattigen Platz neben der Weinlaube saß. Einige seiner Musikkameraden standen bereits am Tisch und bewunderten den gerade mal 6 Monate alten Anton, den Anna im Arm hatte. Für große Aufregung sorgte an diesem Tag auch die Ankündigung des anwesenden Obmannes des Tiroler Heimatbundes[25], dass im nächsten Jahr die Musikkapelle eventuell nach Wien fahren könnte. Beim Hansl leuchteten schon die Augen, denn in diesen Zeiten gab es für Leute keine Gelegenheit, einmal eine Reise zu machen und geschweige denn dazu eingeladen zu werden.

So machten sich die Hattinger Musikanten am 9. September 1949[26] gemeinsam mit einigen Musikanten aus Telfs, die Hansl noch gut von früher her kannte, auf den Weg nach Wien. Was für eine wunderbare Abwechslung und Zerstreuung für die Tiroler Mander, die nach den harten Kriegsjahren und Nachkriegsjahren endlich einmal einen Hauch von Wohlstand erfahren durften. Sie genossen die Fahrt im Zug und die Ankunft in der Bundeshauptstadt, welche manche von ihnen noch gar nie gesehen hatten. Sie wurden empfangen wie Könige und hatten ein schönes Quartier und natürlich immer wieder Gelegenheit, den guten Burgenländer Wein zu genießen. Groß war der Stolz für Hansl und seine Musikfreunde, als sie dem Innenminister, dem Handelsminister und dem Bürgermeister Körner[27] vor dem imposanten Wiener Rathaus ein Ständchen aufspielen konnten.

So nahm das Kulturleben wieder Fahrt auf, wenngleich die Schäden, die der Krieg angerichtet hatte an vielen Gebäuden, speziell in der Stadt, noch gut sichtbar waren. Die Armut durch die Verwüstung des Krieges blickte noch oft hervor, so war oft nicht einmal wärmende Kleidung für den Winter vorhanden. Auch Hansl hatte im vergangenen Winter sehr gefroren und sich deshalb den ganzen Sommer lang Erspartes angesammelt, um sich einen schönen warmen Wintermantel zu kaufen. Mit dem Geld fuhr er nach Innsbruck, stieg beim Westbahnhof aus und ging die Andreas-Hofer-Straße hinunter. Sein Weg führte ihn beim Musikgeschäft Tutz vorbei und als er davorstand und in die Auslage blickte, konnte er es kaum fassen. Dort drinnen stand dieselbe Posaune, auf der er in Wien einmal spielen konnte. Es war ein Modell aus der Tschechei und er spielte darauf so wunderbar und virtuos, als ob er immer schon auf dieser Posaune musiziert hätte. Die Musikkollegen und der Freund aus Telfs, dem die Posaune gehörte, konnten ihren Ohren nicht trauen, wie Hansl auf diesem Instrument brillierte. All das ging ihm durch den Kopf, während er durch die Auslagscheibe stierte. Kurzerhand ging er ins Geschäft und probierte auf dem Instrument und da war es wieder, das Gefühl, das ein Musikant hat, wenn er spürt, dass das sein Instrument ist. Dem Verkäufer war das Funkeln in den Augen von Hansl nicht entgangen und nach einer halben Stunde war das Geschäft abgeschlossen. Als Hansl mit einer Posaune statt einem Wintermantel nach Hause kam, gab es nur Kopfschütteln, doch Anna verstand, dass er sich einen Herzenswunsch erfüllt hatte und schließlich war er es ja, der frieren musste.

Annas Zustand verschlechterte sich in diesem Winter zunehmend und nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt war die Diagnose klar: Multiple Sklerose – unheilbar. Hansl traf diese Nachricht schwer, wie sollte es so in die Zukunft gehen mit den beiden kleinen Kindern, dem Hof, der ganzen Arbeit. Und seine Anna wird in absehbarer Zeit im Rollstuhl sitzen, so prophezeiten es die Ärzte.

Große Ablenkung von der Sorge und der ganzen Arbeit fand Hansl immer bei der Musikkapelle. Wenn er so Resümee zog, so hatte er eigentlich beim Musizieren immer Freude und Erfolg, während es in anderen Bereichen stets ein auf und ab gab. Die Kapelle[28] hatte 1951 wieder 34 Mitglieder, fast alles Bauern, wenn man von einigen Selbständigen, Angestellten und Arbeitern absieht. Es war eine eingeschworene, kameradschaftliche und lustige Truppe, die ab sofort der hervorragende Musikant Thomas Schatz von den „Nordkettlern[29]“ leitete. Dieser Tanzmusikant imponierte Hansl und den anderen sehr, mit Leichtigkeit schwenkte er den Dirigentenstab und verstand es mit viel Gefühl, die neuen Musikstilrichtungen den Musikanten nahe zu bringen. Er war es auch, der ein paar Musikanten dazu motivierte, eine Tanzkapelle in Hatting zusammen zu stellen. Allerorts wurden nun wieder Bälle und Waldfeste abgehalten, den Leuten ging es besser und so war es für Hansl und seine Musikkollegen ein Leichtes, als Tanzkapelle „Almrausch[30]“ Fuß zu fassen. 

Hansl spielte bis 1984[31] bei der MK Hatting, rund 10 Jahre musizierte er zusammen mit Sohn Anton auch bei den Hattinger Dorfmusikanten[32] die eine Art Symbiose der beiden Tanzkapellen aus der Nachkriegszeit war. Immer wieder bewährte er sich als herausragender, zuverlässiger Musikant bei zahlreichen Konzerten, Wertungsspielen und Festen. Die Hattinger haben den Hansl als freundlichen, feinen Menschen in Erinnerung, der viel für die Musikkapelle beigetragen hat. Hansl würde im Februar 2021 seinen Hundertsten Geburtstag feiern.

Die Erzählung beruht auf einer wahren Begebenheit. Im Hintergrund steht die NS-Zeit, der 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit. Details und verbindende Geschichten sind erfunden bzw. vermutet oder interpoliert; historische Daten, Zeitungsartikel und Chronik-/Kassabucheinträge jedoch real.

 
Markus Geyr
Chronist MK Hatting
Weihnachten 2020

 

 

[1] Foto Untermarkt Telfs 10.04.1938

[2] Schreiben MG Telfs vom 29.03.1938

[3] Foto Jungbauernmusikkapelle Telfs, 15.08.1934

[4] Aus 100 Jahre Telfs, S. Dietrich

[5] Telfer Chronist H. Hofer

[6] Telfer Buch 1955

[7] Schreiben Gaukulturamt vom 25.03.1938

[8] Foto Kreisgaufest Innsbruck 04. Juni 1939

[9] Foto Einweihung Nationaltracht Sommer 1939

[10] Foto Kapellmeister Alois Lindacher 1939

[11] Zeitungsausschnitt: 19400202_S4_IN_Bunter-Abend-des-SA-Nachrichtendienstes

[12] Zeitungsausschnitt: 19400810_S6_IN_Konzertankündigung

[13] Foto Platzkonzert 1940

[14] Schreiben an das Deutsche Rote Kreuz 19400625

[15] Mitgliederliste 1938

[16] Schreiben vom 26.10.1941

[17] Grabstein Hatting

[18] Zeitungsausschnitt: 19430601_S3_IN_Heldengedenkfeier

[19] Schreiben vom 01. 09. 1945

[20] Schreiben vom 01. 09. 1945

[21] Kassabucheintrag 19460510

[22] Zeitungsausschnitt: 19460509_S7_Tiroler-Bauernzeitung_Florianifest

[23] Zeitungsausschnitt: 19480805_S2_TT_Gartenfest-Hatting

[24] Foto Glockenweihe

[25] Zeitungsausschnitt: 19490912_S3_TT_Wienbesuch

[26] Kassabuch Eintrag

[27] Zeitungsfoto: Anni Pöll, Martha Kluckner, Bgm Körner, Berta Gassler, Hilda Neuner in Wien

[28] Foto MK Hatting 1952

[29] Foto Tanzkapelle „die Nordkettler“

[30] Foto Tanzkapelle „Almrausch“

[31] Eintrag Chronik Jahreshauptversammlung 07.12.1984

[32] Foto Hattinger Dorfmusikanten